Ausverkauf im Irrenhaus (5)

In mühsamer Handarbeit wird Eimer für Eimer, Meter für Meter, der Zwischenraum zwischen dem frischgereinigten Betonboden und dem baufälligen Zaun des Nachbarn aufgefüllt.

In mühsamer Handarbeit wird Eimer für Eimer, Meter für Meter, der Zwischenraum zwischen dem frischgereinigten Betonboden und dem baufälligen Zaun des Nachbarn aufgefüllt.

Dienstag, 9. August 2011
Der Vorarbeiter hat begonnen, den frisch gelieferten Kies zwischen Zufahrt und Zaun zu verteilen, da war immer ein hässlicher Erdstreifen. Auch auf den anderen Flächen wurde Kies verteilt.

Mittwoch, 10. August 2011
Ich musste herausfinden, dass es sehr schwierig ist, konzentriert zu arbeiten, während nur zwei Stockwerke weiter oben Arbeiter damit Beschäftigt sind, mit schweren Hämmern Fliesen von der Wand zu dreschen. Oder haben die die Durchgänge verbreitert?

Genervt vom Gewummer, das zufällig genau dann unterbrochen wurde, als ich mich endlich zu einer Mittagspause entschloss, habe ich am Nachmittag mal bei Isabelle, der Dame im Stockwerk über uns, reingeschaut. Die Tür stand offen, in der Ecke des Wohnzimmers saß einigermaßen erledigt die Mieterin, ringsum herrschte Chaos, in dem fünf Frauen, Verwandte und Kolleginnen der Dame, Regie führten. Mein Hinweis, dass ihre Garage derzeit nicht zugeparkt sei, sorgte allgemein für Aufhorchen, schließlich galten die Autos der Handwerker als Hauptgrund dafür, dass sich die Bemühungen, die Wohnung aufzulösen, nicht auf den Unrat in der Garage erstreckten. Doch zunächst galt es eine große Zahl prall gefüllter Müllsäcke durchs Treppenhaus zu schleifen und zu den überfüllten Mülltonnen zu stellen.

Um ihre Immobilien an den Mann zu bringen, haben sie sich farbige Hochglanzprospekte drucken lassen.

Um ihre Immobilien an den Mann zu bringen, haben sie sich farbige Hochglanzprospekte drucken lassen.

Damit sich potentielle Kunden gleich wie zuhause fühlen, stehen in den Wohnungen große Fernsehatrappen. Zu sehen: Die Oper und die Harbour Bidge – alles wie zuhause.

Damit sich potentielle Kunden gleich wie zuhause fühlen, stehen in den Wohnungen große Fernsehatrappen. Zu sehen: Die Oper und die Harbour Bidge – alles wie zuhause.

Endlich renoviert: Das Badezimmer.

Endlich renoviert: Das Badezimmer.

Will man da nicht sofort einziehen? Ein gemachtes Bett mit hübscher Dekoration. Auf dem Balkon laden Stühle zum Verweilen in der Sonne ein. Von dort hat man eine gute Sicht auf den Parkplatz und die Mülltonnen.

Will man da nicht sofort einziehen? Ein gemachtes Bett mit hübscher Dekoration. Auf dem Balkon laden Stühle zum Verweilen in der Sonne ein. Von dort hat man eine gute Sicht auf den Parkplatz und die Mülltonnen.

Die Mülltonne wurden inzwischen so gründlich versteckt, dass sie selbst vom Hof aus kaum zu sehen sind. Aber wer sie findet, entdeckt auch die ausklappbaren Wäscheleinen, die sie direkt neben den Tonnen an die Hauswand gedübelt haben.

In Isabelles sagenumwobenen Garage, nach ihren Worten angefüllt mit all dem Zeug ihres früheren Freundes, der irgendwann abgehauen sei, ohne je Miete gezahlt zu haben und auch ohne sein Geraffel aus der Garage wieder mitzunehmen, setzte sich das Schauspiel später fort. Isabelles Helferinnen haben sich getraut, das Tor zu öffnen und da gab es wirklich eine bunte Mischung, teilweise sehr sorgfältig eingelagerter, Nutzlosigkeiten. Plastikboxen und Säcke mit Kleidung, Möbel, Elektrogeräte, ein Wickeltisch, eine Truhe mit Plüschtieren, bergeweise Schuhe und auch einige Backsteine. Ich fischte mir zwei solide Kiefernbretter aus dem Plunder und alle waren sicher, Isabelle würde sie nicht vermissen.

Vis-à-vis zu unserer Wohnung ist ein weiterer Show-Room entstanden. Waynes Wohnung ist jetzt mit neuem Bad und neuem Teppich, ausgestattet mit dunklem Antik-Look-Möbeln, wieder vorzeigbar. Vielleicht gelingt es mir am Samstag, eine kleine Inspektion vorzunehmen, während sich der Makler (wie letzten Samstag) vor dem Haus in die Sonne stellt, um auf mögliche Kunden zu warten. Dann werden wieder alle Türen im Haus offen stehen.

Samstag, 13. August 2011
Mike, der »sympathische« Makler passte uns auf dem Weg zum Bus ab. Er fragte uns, ob wir Interesse hätten, eine der Wohnungen zu mieten, wenn sie verkauft sind und ein Käufer einen Mieter sucht. Die Frage zielte für ihn natürlich darauf ab, einem potentiellen Käufer zu sagen, dass es sogar schon Mietinteressenten gibt. Die im Norden (Sonnenseite!) im zweiten Stock würden wir schon nehmen, allerdings ist die derzeit noch bewohnt. Gut, sagte er, allerdings würde die Miete vermutlich steigen, von knapp 500$ auf 550–580$ – in der Woche wohlgemerkt.

Montag, 15. August 2011
Nicht nur an Samstagen werden Wohnungen besichtigt, auch sonst erscheinen Interessenten, die mit einem Angestellten der Immobilienfirma durchs Haus gehen. Gegen Mittag klopfte es an der Tür. Ein Herr nebst junger Dame stand im Treppenhaus, outete sich als Kaufinteressent und stellte mir ein paar Fragen zum Haus, zur Gegend, zur Nachbarschaft, wer kauft schon die Katze im Sack? Dann wollte er noch wissen, was man denn so an Miete zahlt im Haus. 500 $, sagte ich ihm, alle anderen hätten bis zuletzt 400 $ bezahlt. Das erstaunte ihn. Der Verkäufer hatte ihm versichert, die Miete läge schon jetzt bei 600 $.

Isabelle, die Dame über uns, hatte Besuch von einem Ehepaar. Bill ist Ingenieur und arbeitete bis zu seiner Pensionierung an der Uni, heute half er mit seiner Frau bei Isabelles Umzug. Zu zweit trugen wir eine alte Kommode zu deren Auto, anschließend half mir Bill, ihren nicht mehr benötigten riesigen Wohnzimmertisch in unsere Garage zu stellen. Die passenden Stühle wollte ich nicht haben, schließlich will ich den Tisch als Werkbank benutzen. Ob man sich beim Arbeiten denn nicht auch mal hinsetzen müsste? Nein. Muss man nicht. Nicht wenn die Stuhllehnen mit weiß-schwarz-braunem Flecktarnplüsch im Stil der 70er bezogen sind. Da steht man lieber.

Morgen, so vereinbarte ich mit Isabelle, geht’s weiter.

Die Garage sieht eigentlich ganz übersichtlich aus. Der verfallene Wickeltisch (Bildmitte) war schnell auf dem Müll, ebenso der Heimtrainer. Für das Stahrohrbett nebst verschimmelter Matratze und daraufliegendem Couch-Tisch (rechts) fand sich sogar noch ein Interessent. Die Plastikkisten hatten es allerdings in sich.

Die Garage sieht eigentlich ganz übersichtlich aus. Der verfallene Wickeltisch (Bildmitte) war schnell auf dem Müll, ebenso der Heimtrainer. Für das Stahrohrbett nebst verschimmelter Matratze und daraufliegendem Couch-Tisch (rechts) fand sich sogar noch ein Interessent. Die Plastikkisten hatten es allerdings in sich.

Isabelles »Arbeitsplatz« aus der Vogelperspektive. Alleine der Stapel der Kisten mit für den Wohltätigkeitsverein war höher als die Garage.

Isabelles »Arbeitsplatz« aus der Vogelperspektive. Alleine der Stapel der Kisten mit für den Wohltätigkeitsverein war höher als die Garage.

Dienstag, 16. August 2011
Schon sehr früh morgens habe ich zwei Mülltonnen zu Isabelles Garage gefahren. Eine für Papier, eine für Restmüll. Die Garage war unverschlossen, ich hatte Isabelles Erlaubnis, mir zu nehmen, was ich will und so begann ich, sehr offensichtlichen Müll von normal offensichtlichem Müll zu sortieren und den offensichtlicheren in die passende Tonne zu räumen. In der Papiertonne landeten vor allem verschimmelte Bücher, verschimmelte Schuhkartons und muffige Schulsachen. Die stammten wohl von ihrer Enkelin, die allerdings nicht mehr mit ihrer Oma redet und nun auch nicht beim Umzug hilft. Bei den drei anderen Enkeln und Isabelles Töchtern sieht es ähnlich aus, allerdings hatten die keine Schulsachen in der Garage.

Es fanden sich Berge fleckiger Handtaschen und Schuhe, die in großen Einkaufstaschen landeten, die sich ebenfalls haufenweise fanden. Nach zwei Stunden machte ich erstmal Pause.

Um elf kam Isabelle und jetzt begann der Spaß erst richtig. Sie setzte sich auf einen Stuhl, ich versorgte sie mit Kisten und reichte ihr nacheinander die Säcke und Kisten mit Kleidern an, die sie Stück für Stück durchschaute und sortierte. Vieles wollte sie behalten, das meiste kam in die Kiste für Vinnies, den hiesigen Wohltätigkeits-Second-Hand-Laden, manches direkt in die Mülltonne.

Am Abend waren die beiden Mülltonnen randvoll, der Stapel der Boxen für Vinnies reichte bis unter die Decke und Isabelle war sichtlich erschöpft und zunehmend verwirrt. Während sie da saß und sortierte wanderte viel gröberer Schrott direkt an den Straßenrand, viele Dinge hatte sie vorher noch nie gesehen. Als es dunkel war, kamen noch eine entfernte Nichte und zwei ehemalige Kolleginnen Isabelles, die mithalfen, die Müllsäcke, die in der Vorwoche in ihrer Wohnung gefüllt wurden, von den Mülltonnen zum Straßenrand zu befördern. Es waren 20 Säcke und sie waren zum Teil so schwer, dass sie nur durch Schleifen über den Boden bewegt werden konnten.

Alle Schätze, die Isabelle behalten wollte, kamen in unsere Garage. Sie hatte keine Gelegenheit, sie mit in ihr neues Zuhause zu transportieren, würde das aber morgen nachholen. Um elf wäre sie eh da, schließlich müsste sie die Wohnung übergeben.

Die stand übrigens noch voll mit Isabelles alten Möbeln, die sie in der neuen kleinen Wohnung nicht unterbekam. Das ist eine etwas unglückliche Konstellation, aber Isabelle verzichtet lieber auf ihre Kaution, die vor 27 Jahren sowieso nicht so groß war, als sich darum auch noch zu kümmern.

Am nächsten Morgen kam die Müllabfuhr, hat aber erstmal nur einen Bruchteil des Mülls eingepackt.

Am nächsten Morgen kam die Müllabfuhr, hat aber erstmal nur einen Bruchteil des Mülls eingepackt.

Mittwoch, 17. August 2011
Um acht tauchte die Sperrmüllabfuhr auf, nahm allerdings nur etwa ein Fünftel der Sachen mit, die da rumlagen. Die Säcke blieben liegen und auch der riesige Kühlschrank schmückte weiterhin die Einfahrt.

Um elf Uhr war Michelle vom Maklerbüro da, von Isabelle war aber nichts zu sehen. Dafür kamen zwei Gebrauchtwarenhändler. Während der eine die Säcke auskippte, schnitt der andere den Kompressor aus dem Kühlschrank und wuchtete ihn auf die Ladefläche. Den Kühlschrank nahmen sie auch mit, allerdings hoben sie den zu zweit und auch erst, als kein Kühlmittel mehr auslief. Immerhin nahmen sie auch die Autobatterie mit, die sich in Isabelles Garage fand. Michelle ging mit den Jungs auch in Isabelles Wohnung, aber sie wollten weder die Waschmaschine noch das Gestell des Bügelbretts mitnehmen. Vermutlich war die Ladefläche schon zu voll.

Isabelle kam dann um kurz nach zwölf, kurz nachdem Michelle wieder gefahren war. Als ich ihr erzählte, dass Michelle auf sie gewartet hatte, verließ sie panisch das Haus, sie müsse die Schlüssel doch noch übergeben! Und weg war sie.

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