Ausverkauf im Irrenhaus (3)

Mittwoch, 27. Juli 2011
Um drei Uhr kam kein Wasser mehr aus der Leitung. Die Nachfrage in der Nachbarwohnung führte zum diensthabenden Klempner, der in der Küche arbeitete. Ihm war sehr unangenehm, dass ich ihn darauf anspreche, dass das Wasser nicht geht, er habe aber an unsere Tür geklopft und niemand habe reagiert. Das ist gut möglich, schließlich geht gerade ein weiterer Handwerker schon seit Stunden nur wenige Meter entfernt gewaltsam gegen die Fliesen eines Badezimmers vor. Ob er denn nicht wisse, dass es in den Wohnungen jeweils einen Haupthahn gibt? Doch sagt er, den habe er hier ja gerade ausgetauscht. Dann ist es auch in Ordnung, im Haus das Wasser abzustellen, dachte ich mir.

Aus Hellbraun mach Dunkelbraun: Chinese bei der Arbeit.

Aus Hellbraun mach Dunkelbraun: Chinese bei der Arbeit.

Dumm gelaufen: Der Regen der letzten Wochen drückt durch den Beton.

Dumm gelaufen: Der Regen der letzten Wochen drückt durch den Beton.

Auch bei uns hinterlässt das Rinnsal seine Spuren.

Auch bei uns hinterlässt das Rinnsal seine Spuren.

Die Chinesen sind uns in den Balkon geklettert und haben sich Platz geschaffen, um auch hier ihre Farbe auszubreiten. Das war leider nicht angekündigt und so wurde es etwas hektisch, als plötzlich alles freigeräumt werden musste. Die Außenseiten haben sie von der Hebebühne aus gestrichen, jetzt sind auch die Innenseiten dran. Ob nach dem Küchenbalkon auch der andere Balkon gestrichen werden soll, habe ich den Maler gefragt, aber leider konnte der kein Englisch. Wenig später klettert ein weiterer Chines auf den Balkon, dessen Englisch ist schon besser. »Today? Finished!« antwortete er mir. Das traf sich ganz gut, dann konnte ich die Töpfe vom Küchenbalkon nämlich auf den Arbeitszimmerbalkon räumen. Doch schon bald steht einer der beiden im Wohnzimmer und fragt gestenreich, ob er durch die Wohnung laufen dürfe, um den anderen Balkon auch zu streichen. »Next?« fragte er und zeigte Richtung Arbeitszimmer.

Die Gelegenheit zum Balkonstreichen war aber auch super. Nach tagelangem Regen war es heute nur leicht bewölkt, so dass die frische Farbe nicht gleich wieder abgewaschen wurde. Schade nur, dass im Balkon in der Etage über uns die Abflüsse verstopft waren. Das Wasser stand wohl knöchelhoch und kam eher durch den Beton der Brüstung als durch die dafür vorgesehenen Rohre. Und so wusch das rinnende Wasser nicht nur die Farbe vom Balkon über uns, auch auf unserer Brüstung sorgte es für eine Erinnerung an Zeiten, als Orange-Braun noch als Gipfel der Geschmaklosigkeit galt.

Donnerstag, 28. Juli 2011
Vor dem Fenster ging ein riesen Schwall Wasser nieder. Draußen stand ein Mann in Schlachterschürze auf der Hebebühne und spritze die Front ab. Gleichzeitig standen die Kräuter noch auf dem Balkon und bekamen eine Dusche ab. Während einer kurzen Pause fragte ich den Mann, ob das giftig ist, was er verspritzt. Nein, sagte er, das sei nur Bleiche, deshalb röche es etwas nach Schwimmbad. Ich evakuiere die Pflanzen erneut, unter der Dusche werden sie dekontaminiert und finden neben der Badewanne ein Asyl.

Der Mann mit der Schürze arbeitete munter weiter, die Chlortunke ließ er einige Minuten einziehen und versicherte mir, dass ich keine Sorgen um die Pflanzen auf dem Küchenbalkon haben müsste, er solle nur die Front säubern. Und den Betonweg rings ums Haus.

Der Kärcher-Mann. Als er mit der Reinigung der Fassade fertig war, kam der Boden dran.

Der Kärcher-Mann. Als er mit der Reinigung der Fassade fertig war, kam der Boden dran.

Der Fotograf kam und wollte fürs Prospekt die frischgereinigte Fassade knipsen. Dafür musste das Reinigungsgerät samt Schläuchen und Hebebühne aber erstmal auf die Seite gefahren werden.

Der Fotograf kam und wollte fürs Prospekt die frischgereinigte Fassade knipsen. Dafür musste das Reinigungsgerät samt Schläuchen und Hebebühne aber erstmal auf die Seite gefahren werden.

Dann stieg er wieder auf die Hebebühne und blies uns mittels Hochdruckreiniger den Dreck von der Fassade. Wie um zu beweisen, wie harmlos das alles war, was er da tat, löste er die Spritzpistole vom Schlauch und trank ein paar Schlucke aus dem Schlauch, ehe er weiterarbeitete.

Unglücklicherweise löste sich bei der Gelegenheit auch die neue Farbe von den Balkonen, aber das ist ja nicht so schlimm. Da kommen bestimmt die Chinesen noch mal.

Auch der Zaun hinter dem Haus wurde ersetzt. Am Balkon rechts im Bild lässt sich die typische Arbeitsweise ablesen: Erst streichen, dann spachteln.

Auch der Zaun hinter dem Haus wurde ersetzt. Am Balkon rechts im Bild lässt sich die typische Arbeitsweise ablesen: Erst streichen, dann spachteln.

Am Nachmittag kam dann der Boden dran. Während der Mann mit schwerem Gerät breite helle Linien in den dunkelgrauen Beton zeichnete, tauchte plötzlich ein Mann auf, der rein optisch nicht so richtig zu all den Handwerkern passte. Er sprach mit dem Mann mit dem Reinigungsgerät und sie begannen, gemeinsam, vor dem Haus aufzuräumen. Die Hebebühne wurde weggefahren, die Schläuche verschwanden und auch der große Flächenreiniger wurde über den Zaun gewuchtet. Der Mann war Fotograf und hatte den Auftrag, Fotos vom Haus zu machen. Und er hatte es eilig und konnte leider nicht warten, bis der Mann mit dem Kärcher fertig war. War ja nicht schlimm, der Tag war ja noch lang und irgendwann konnte es weitergehen mit dem Saubermachen.

Derartige Schilder sind überall in der Stadt zu sehen. Sie sind aber besser zu ertragen, wenn man nicht weiß, welche Bruchbuden hier mit blumoigen Worten zum Verkauf angeboten werden.

Derartige Schilder sind überall in der Stadt zu sehen. Sie sind aber besser zu ertragen, wenn man nicht weiß, welche Bruchbuden hier mit blumigen Worten zum Verkauf angeboten werden.

Gleichzeitig entstand zwischen unserem Hinterhof und dem des Nachbarhauses ein neuer massiver Holzzaun. Außerdem bekamen wir eine von diesen schicken Werbetafeln, mit deren Hilfe die Real-Estate-Leute hier versuchen, ihre Lügen an den Mann zu bringen. (»Blue chip Location«) und der neue Teppich im Treppenhaus ist auch fertig geworden.

Der Anblick eines Möbelwagens überrascht nicht, wenn man weiß, dass gerade massenhaft Nachbarn ausziehen. Dieser LKW kam aber voll, er hatte Deko-Möbel für eine der Wohnungen geladen.

Der Anblick eines Möbelwagens überrascht nicht, wenn man weiß, dass gerade massenhaft Nachbarn ausziehen. Dieser LKW kam aber voll, er hatte Deko-Möbel für eine der Wohnungen geladen.

Freitag, 29. Juli 2011
Vor dem Balkon rangierte ein Umzugswagen. Wer zieht heute aus? Zwei Chinesen sprangen raus, öffneten die Heckklappe und siehe da: der Wagen war voll. Offensichtlich haben die zwei Dekomaterial herangeschafft. Mit dessen Hilfe sollte in einer der Wohnungen etwas Flair entstehen. Am besten gefiel mir die Breitwandfernseherattrappe mit dem aufgeklebten Bild der Sydneyer Oper.

Nach etwa 15 Minuten machte sich in der Wohnung frischer Dieseldunst breit. Während die zwei den Inhalt ihres Lasters in den dritten Stock schafften, ließen sie den Motor einfach laufen. Auf die Frage, ob sie denn nicht mal den Motor ausschalten könnten, meinte einer der der beiden, dass sie die Batterie laden müssten. Und das nun leider, während das Heck des Wagens auf unsere Fenster zeigte. Auf meinen Hinweis, dass unsere Fenster undicht seinen und wir den ganzen Gestank schon in der Wohnung hätten, waren sie aber gnädig und schalteten den Motor ab. Eine weitere halbe Stunde später fuhren sie dann auch schon wieder. Und sie haben den Motor auch spontan starten können.

In der Vergrößerung besser zu erkennen: Über der Plexiglas-Eins sind die Schraublöcher der entfernten Metall-Eins zu sehen.

In der Vergrößerung besser zu erkennen: Über der Plexiglas-Eins sind die Schraublöcher der entfernten Metall-Eins zu sehen.

Und es gab noch mehr Deko. Die Metallzahlen, mit denen unsere Wohnungstüren durchnummeriert waren, wurden von den frisch gestrichenen Türen wieder abgeschraubt und durch stylische neue Nummern aus Plexiglas ersetzt. Die sitzen jetzt ein bisschen tiefer als die alten. Dann bleiben von den schönen Zahlen wenigstens die Schraublöcher als Erinnerung sichtbar.

Später tauchte erneut ein Fotograf auf. Diesmal ein jüngerer Asiate. Auch er machte Bilder von der Front des Hauses. Die Bilder des ersten Fotografen waren vermutlich unbrauchbar, denn darauf dürfte deutlich zu sehen gewesen sein, dass beim Kärchern der Fassade die Farbe an den Balkonen gelitten hatte. Die neuen Bilder wurden so aufgenommen, dass man die Stellen nicht sehen konnte. Auch die frisch eingerichtete Wohnung im Dachgeschoss wurde abgelichtet, die entstandenen Bilder hat der neue Besitzer auf einem Immobilien-Portal eingestellt. Wer will, kann sie sich hier anschauen:

www.realestate.com.au/property-apartment-nsw-randwick-107555516

Auch wenn auf den Bildern ein anderer Eindruck entsteht: hier im Haus ist eigentlich alles rechtwinklig.

Am Abend waren wir noch kurz bei den Nachbarn schräg über uns. Die alte Dame über uns wollte eigentlich bei uns klingeln, tat sie aber nicht. Die Nachbarn haben auch keine Erklärung. Aber sie haben den gleichen Kühlschrank wie wir. Seltsames Haus.

Samstag, 30. Juli 2011
Heute war wieder Besichtigung, aber wir waren nicht da. Eine Wohnung unter dem Dach scheint jetzt aber verkauft zu sein.

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Eine Antwort auf Ausverkauf im Irrenhaus (3)

  1. Hartmut sagt:

    Köstlich!