Ausverkauf im Irrenhaus (7)

Wohnungsbesichtigung! Links am Hochspannungsmast vorbeipeilen. Da müssen wir hin!

Wohnungsbesichtigung! Links am Hochspannungsmast vorbeipeilen. Da müssen wir hin!

Mittwoch, 14. September
Es gab wieder eine Wohnung zu besichtigen. In der selben Straße, auf der selben Straßenseite, hundert Meter weiter den Berg hoch. Wir haben Jojo im Schlepptau, was gar nicht schlecht ist, denn wer nach Australien reist um Land und Leute kennenzulernen, sollte sich die Abgründe während einer Wohnungsbesichtigung nicht ersparen. Die Besichtigung verlief dann aber etwas untypisch. Der Termin ließ sich nur durch gezieltes Nachfragen in Erfahrung bringen und es warteten auch sonst keine Interessenten vor dem Haus, als wir dort gerade so rechtzeitig eintrafen. Dafür standen zwei junge Chinesen vor dem Haus, die hartnäckig die Klingel der anderen Wohnung im zweiten Stock betätigen. Sie schlüpften mit durch die Haustür, als endlich der Makler kam und aufschloss. Der hatte mit Klingeln auch keinen Erfolg. Eigentlich hatte er erwartet, die derzeitigen Mieter anzutreffen, die waren aber nicht da, entsprechend reagierten sie auch nicht auf Klopfen an der Wohnungstür.

Je weiter wir in die Wohnung vortrangen, desto mehr offenbarte sich uns das Chaos. Während das Wohnzimmer aufgeräumt und die Küche groß und geräumig waren, zeigte sich in den beiden Schlafzimmern, dass die Mieter entweder vergessen hatten, dass in ihrer Wohnung eine Besichtigung stattfinden soll, oder sie hatten es nicht mehr rechtzeitig vorher nachhause geschafft. In den Zimmern herrschte das Chaos. Die Schränke standen offen, Klamotten aller Art waren über Fußboden, Betten und Stühle verteilt. Das hinderte den Makler aber nicht, uns die Balkontür zu öffnen. Die Wohnung hat ebenfalls zwei Balkone, sie reichen fast komplett um die Ost- und Nordseite der Wohnung. Zersplitterte Zimmer- und Schranktüren würden noch repariert werden, versicherte er uns. Die defekten Fliesen im Eingangsbereich des Badezimmers werden ebenfalls noch geflickt.

Uns gefällt die Wohnung. Der Nordbalkon verspricht mehr Sonne ohne Straßenlärm, der Umzug dürfte ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen sein, schließlich ist es nicht weit. Die Küche bietet endlich Platz, eines der Schlafzimmer lässt sich als Arbeitszimmer verwenden. Natürlich gibt es auch Mängel. Das Treppenhaus ist sehr dreckig, die nächsten Häuser stehen sehr dicht und wer weiß, welche fiesen Mängel sich unter den Bergen von Unterwäsche und Schuhen noch verbergen?

Wir lassen uns die Bewerbungsunterlagen aushändigen. Je schneller wir die zurückbringen, desto besser, meinte der Makler.

Donnerstag,15. September
Auf dem Weg zum Sightseeing in der City bin ich am Morgen mit Jojo noch schnell beim Maklerbüro vorbei. Die Sekretärin war begeistert, als sie sah, dass sich da Deutsche um die Wohnung bewerben. Immerhin will sie am Freitag nach Düsseldorf fliegen und sie ist schon richtig aufgeregt.

Am Nachmittag klingelte Jules Telefon in meiner Hosentasche. Wir waren gerade unter der Nordseite der Harbour Bridge, befanden uns also quasi in einer großen Halle auf deren Dach auf acht Spuren Autos und U-Bahnen rasten. Kein guter Ort zum Telefonieren. Was ich verstand: Es war die Sekretärin des Maklerbüros und sie gratulierte mir dazu, dass wir die Wohnung bekämen. Im Anschluss erzählte sie mir noch jede Menge Dinge, die sie jeweils mit »Is this OK?« abschloss. Ich hatte sonst kein Wort verstanden, wusste dann aber wenigstens immer, wann ich »Yes, of course!«, »No worries!«, »No problem! Thank you!« zu sagen hatte. Immerhin hatte ich verstanden, dass sie mir das alles auch noch mal per Mail schicken wollte.

Fazit: Wir haben die Zusage für eine neue Wohnung. Und sie soll nur 25 $ mehr kosten als die bisherige, in der Woche, wohlgemerkt. Am 17. Oktober dürfen wir einziehen.

Donnerstag, 27. September
Das australische Mietrecht ist merkwürdig. Wer einen Mietvertrag abschließt, legt damit im Prinzip fest, dass er frühstens in einem Jahr wieder auszieht. Gleichzeitig kann dem Mieter in dieser Zeit die Wohnung nicht gekündigt werden. Ausnahmen gibt es für die Mieter, besispielsweise, wenn bei Mietantritt nicht erwähnt wurde – weil der Besitzer es da noch nicht wusste oder weil er es nicht verraten wollte – dass das Haus während der Vertragszeit verkauft wird. Dann hat der Mieter eine zweiwöchige Kündigungsfrist.

Vor zwei Wochen stand der Makler, der unser Haus zu verkaufen versucht, vor dem Balkon, so dass ich ihn gleich mal gefragt habe, wie das denn sei mit unserem Auszug, den er sich vermutlich schon seit Wochen wünscht.

– Wir sagen einfach zwei Wochen vorher bescheid und können dann ausziehen?

– Was? Nein. Gebt einfach euren Schlüssel ab und sagt mir dann bescheid. Das reicht.

Das klang unbürokratisch.

Trotzdem haben wir heute mal eine Mail an den Makler geschickt, der bei unserer jetzigen Immobilenfirma für den Verkauf der Wohnungen zuständig ist. Der darf ruhig wissen, dass wir demnächst ausziehen.

Mittwoch, 5. Oktober
Michelle, die Dame, die beim Immobilienmakler für die Vermietung unserer Wohnung zuständig ist, hat uns eine Mail geschickt. Sie habe gehört, wir wollten ausziehen, da müsse sie jetzt unbedingt den Termin wissen. Komische Frau. Wir können ohne Fristen einzuhalten ausziehen wann wir wollen, sie würde aber gerne zwei Wochen vorher den Termin wissen. Klingt nach einem Missverständnis. Wir haben ihr geschrieben, wir würden in der Woche, die mit dem 17. Oktober beginnt, ausziehen.

In der Garage ist aus alten Bettseitenteilen und einem massiven Kiefernbrett unter Zuhilfenahme von vier Rollen, die mal unter einen Schrank montiert waren, ein Rollbrett entstanden. Damit geht das mit den Umzugskartons ganz einfach. Die Umzugskartons füllen sich auch langsam. Erstaunlich, was sich in einem ¾ Jahr so an CDs, Büchern, Konserven, Möbeln und sonnstigen Hausrat ansammelt.

Montag, 17. Oktober
Die Kisten sind gepackt, der Makler kam höchstselbst zu unseren neuen Wohnung und überreichte uns Mietvertrag und Schlüssel zum neuen Heim. Die Schlüssel hat er alle nochmal durchgetestet und ja, mit etwas Geduld passten sie alle. (Die Frage schien nicht zu sein, ob die Schlüssel benutzbar sind. Es ging mehr darum, dass es die richtigen sind. Nicht, dass am Ende irgendwo welche fehlen.)

Die Wohnung war tatsächlich leergeräumt und oberflächlich gereinigt, unser Einzug konnte beginnen.

Mittwoch, 19. Oktober
Heute mussten wir die Schlüssel abgeben. Bis um zwölf mussten sie im Maklerbüro sein, sonst müssten wir für morgen auch noch Miete zahlen. Michelle hatte auf einen festen Termin bestanden und da wir dachten, dass zwei Tage für den Umzug reichen, haben wir uns auf den Mittwochmittag geeinigt. Mike, der »Sympath« der den Verkauf der Wohnung abwickeln soll, hat mich darum gebeten, ihm einen Satz Schlüssel im Briefkasten zu lassen, dann könne er nämlich gleich rein in die Wohnung.

Um 8 waren wir nochmal in der Wohnung, haben sie uns nochmal bei Tageslicht angeschaut und da alles sauber und ordentlich schien, haben wir die Putzsachen gepackt und ins Treppenhaus gestellt. Beim Blick aus dem Fenster fiel mir ein junger Mann auf, der unseren Briefkasten filzte. Was er denn suche, fragte ich ihn. Den Wohnungsschlüssel, sagte er. Der solle da im Briefkasten liegen, schließlich sollen sie jetzt mit der Renovierung beginnen. Die haben es ganz schön eilig, dachte ich mir. Wir sollen bis Mittag die Schlüssel abgeben und der erwartet ihn schon um kurz nach acht.

Davon unbeeindruckt packen wir unsere letzten Habseligkeiten, beim Rausgehen drücken wir ihm den Schlüssel in die Hand. Mit dem Herausreißen des frischgesaugten Teppichs hatten sie bestimmt schon begonnen, als wir die Haustür ins Schloss fallen ließen.

Die Schlüsselübergabe verlief unspektakulär. Der Empfangsdame im Immobilienbüro habe ich den verbliebenen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt und sie hat sich wie ein kleines Kind darüber gefreut, dass ich ihn in einen mit der Adresse beschrifteten Umschlag gesteckt hatte.

– Sagen Sie, könnten Sie mir quittieren, dass ich Ihnen den Schlüssel rechtzeitig abgegeben habe?

– Nein, dafür brauchen Sie keine Quittung, das geht einfach so.

Aha. Da sind wir ja mal gespannt. Möge sie recht behalten.

Blick vom Balkon der neuen Wohnung hinters Haus

Blick vom Balkon der neuen Wohnung hinters Haus

Das Kapitel mit dem Ausverkauf des Irrenhauses ist damit geschlossen. Jetzt beginnt ein neues Kapitel in einer neuen Wohnung. Im Anbetracht der vielen Baumängel, Beschädigungen und dem schlechten Gesamtzustand der neuen Wohnung und der hartnäckigen Weigerung der Besitzer, diese Mängel zu beheben, weil sie viel lieber Miete kassieren, statt Geld in ihre Gebäude zu stecken, könnte es »Abgezockt im zweiten Stock« heißen.

PS: Die neue Adresse verraten wir gerne auf Anfrage. Wer es sich zutraut, kann sie sich auch selbst ausrechnen. Von der alten Adresse einfach »13/207 Blenheim Street« abziehen. Kürzen nicht vergessen …

Nachtrag
Inzwischen sind alle Wohnungen in unserem vorigen Haus verkauft. Die letzten (unteren) vier wohl von einer Immobilienfirma, die sie jetzt zu vermieten versucht. Mit 650$ bis du dabei. Der Betrag ist wöchentlich zu entrichten.

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11 Antworten auf Ausverkauf im Irrenhaus (7)

  1. Kollege Chrissi sagt:

    Hui!

    Dann drücke ich euch mal die Daumen, dass die nächste englische redewendung, die euch nahegebracht wird, nicht „Out of the fryingpan, into the fire“ ist… =)